Wie Focusing mir half, meine Angst vor dem Zahnarzt aufzulösen

Es ist wieder Zeit zum Zahnarzt zu gehen und ich weiß, dass gebohrt werden soll. Als ich auf dem Zahnarztstuhl liege, spüre ich die Aufregung und Anspannung in mir aufsteigen. Mein Atem wird flacher und ich beginne zu schwitzen. Diese Reaktionen sind mir bekannt von vorherigen Zahnarztbesuchen.

Ich halte kurz inne und erinnere mich an eine Focusing-Sitzung, in der ich meine Angst vor dem Zahnarzt zum Thema gemacht hatte. Es ist nicht der Zahnarzt, vor dem ich Angst habe, sondern vor dem Bohren.

Also schließe ich die Augen und lege meine Hände übereinander auf den Bauch, der sich mit meinem Atem hebt und senkt. Dabei richte ich meine Aufmerksamkeit auf das innere Bild, welches in der Focusing-Sitzung entstanden war:

Links vom Fenster her kommt Licht und da formt sich so etwas wie eine Lichtgestalt, die jede schlechte Stimmung, auch meine Angst, neutralisiert. Das Zusammenarbeiten des Zahnarztes und der Zahnassistentin kann ich plötzlich als ganz harmonisch wahrnehmen. „Es ist alles gut“ sage ich zu mir und spüre unter den Händen die Atembewegung meines Bauches.

So fühle ich mich bereit. Ich öffne den Mund und bekomme eine Spritze. Ich bin ganz auf das innere Bild konzentriert, auf die Ruhe und den Frieden, welches es ausstrahlt. Ich spüre, wie sich dies in meinem Körper ausbreitet, während gleichzeitig in meinen Zähnen gebohrt wird. Immer wieder lenke ich meine Aufmerksamkeit auf das Bild. Schon werden die Löcher wieder zugemacht. Ich blinzle und sehe das harmonisierende Licht, spüre meinen tiefen Atem. Es war ja gar nicht so schlimm!

Dieser Zahnarztbesuch ist jetzt bereits drei Jahre her. Die Zeiten, in denen ich schweißgebadet und total verspannt den Zahnarzt verlasse, sind vorbei. Ich kann das innere Bild und das Körpergefühl immer wieder aufrufen und mich gelassen auf dem Weg zum Zahnarzt machen.

Wieso ist das keine Rose geworden?

Diese Frage klingt vielleicht ein bisschen naiv. Schon Gertrude Stein wusste 1913 „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.“ Und dies da oben ist keine Rose.

Klar, Sie wissen das auch und ich ebenso. Meine Frage ist aber: Woher wusste es das kleine Samenkorn in der Erde? Woher wusste es, dass es in der warmen, feuchten Erde keimen soll und sich zu einem Pflänzchen entwickeln? Woher wusste es, wie die Blätter auszubilden sind und am Ende gar eine so wunderbare Blüte entstehen kann?

Wenn wir unseren Blick jetzt auf unsere Spezies richten. Woher wusste ich und mein Körper, was er im Mutterleib zu tun hat? Nicht nur die Biologen interessiert diese Frage. Auch die Philosophen und Psychologen beschäftigt diese Frage.

Die verschiedenen Schulen und Denkrichtungen geben dem Phänomen unterschiedliche Namen. Als Pädagogin mag ich den von der Pädagogin Maria Montessori geprägten Begriff vom „inneren Bauplan des Kindes“ besonders gerne. Natürlich ist da kein Bauplan mit festgelegten Maßeinheiten und Angaben gemeint. Vielmehr geht es darum, dass es im Kind ein inneres Wissen gibt, an dem sich die Entwicklung orientiert. Dieser Bauplan ist dynamisch und kann sich in einem gewissen Rahmen an äußere Gegebenheiten anpassen. Ernährung z.B. beeinflusst die körperliche Entwicklung in erheblichem Maße. So sind z.B. Eier und Zucker Faktoren, welche die Reifung beschleunigen. Dies ist ein Baustein der Erklärung, warum die Menarche der Frauen immer früher eintritt.

Dieser innere Bauplan umfasst aber nicht nur die körperliche Entwicklung, sondern auch die psychische. So hat Frau Montessori beobachtet, dass Kinder in einer bestimmten Zeit für bestimmte Lerninhalte aufgeschlossen sind, was aber sehr individuell ist. Diese Spanne, in der sich ein Kind ganz einem bestimmten Lernfeld hingeben will, nennt sie sensible Phasen.

Die Psychologie interessiert sich auch für die Entwicklung des Menschens. Sie untersucht dabei das menschliche Erleben und Verhalten und die Bedeutung von inneren und äußeren Einflüssen darauf. Hier sind die Modelle der humanistischen Psychologie besonders wichtig für mich geworden. Ihnen liegt ein ähnliches Vertrauen in die Kräfte des Individuums zugrunde, wie es bei Frau Montessori zu finden ist.

Der wohl bekannteste Vertreter dieser Denkrichtung ist Carl Rogers, der Begründer der personenzentrierten, nicht-direktiven Gesprächstherapie. Er sieht in jedem Individuum enorme Möglichkeiten angelegt, sich zu entfalten. Störungen entstehen, wenn irgendetwas  die Entwicklung behindert.

Eugene Gendlin, der Begründer von Focusing, ist ebenfalls in der humanistischen Psychologie verwurzelt.

Gendlin und Rogers beschreiben ihre Überzeugung, dass im Menschen die Kräfte zur Entfaltung bereits angelegt sind, auf unterschiedliche Weise. Rogers nennt es Aktualisierungstendenz (Stumm, G. (2000). Aktualisierungstendenz. In Wörterbuch der Psychotherapie (pp. 14-15). Springer, Vienna.). Eugene Gendlin nennt es „carrying forward“ und möchte den Begriff nicht gerne ins Deutsche übersetzt haben.

Fortsetzung folgt

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