Die dritte Impulskonferenz ist vorüber. Ein volles Wochenende liegt hinter uns: voller Insirationen, Eindrücke, Gespräche, soviel Beglückendes. Ich würde mich über kurze Statements freuen um einen lebendigen Einblick in die 2 Tage zu gestalten.
Gleichzeitig auch zumindest im Hintergrund voll Besorgnis, ausgesprochen und unausgesprochen.
Das ging den Teilnehmern so, genauso, wie den Workshopleitern. Wie beglückend waren dann Sonntag abend die Bilder von den Hunderttausenden, die für Frieden in Berlin auf die Straße gegangen sind.
Etwas tun können, das hilft gegen Ängste und Ohnmacht. So entstand auch im Lehrenden-Team der Wunsch, etwas zu tun.
Charlotte wird etwas für Erwachsene anbieten, Bettina lädt Erwachsene mitsamt den Kindern vor den Bildschirm ein und hilft beim Freiraum schaffen und der Ressourcensuche.
Heute abend beginnt die 3. Impulskonferenz des Deutschen Focusing Institutes. Gleichzeitig lese und höre ich von überall die Schreckensnachrichten über die Ukraine. Ich bin so voll von Gedanken, Gefühlen, Ängsten, Wünschen (ect.) …
Darf und kann ich die Konferenz genießen, trotz allem? Meine Freude ist durch Corona und das online-Format schon deutlich geschmälert. Wie gerne hätte ich alte WeggefährtInnen getroffen, ja sogar umarmt. Kaum denke ich das, so meldet sich in mir eine Stimme: Luxusprobleme!
Im Vergleich zur Situation in den vielen Krisengebieten der Welt ist das tatsächlich ein Luxusproblem. Gleichzeitg weiß ich, dass der Wunsch nach Kontakt, Nähe und Berührungen bei den Menschen groß ist, ja schon viele in unserem Land über den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie krank geworden sind. Welches Leid wiegt schwerer? Leid lässt sich nicht mit Leid vergleichen, das habe ich schon länger gelernt.
Ich sitze mit all den schweren Gedanken, und auf einmal kommt mir das Partialisieren in den Sinn. Wie von selbst formen sich die Sätze: Ein Teil von mir ist wütend auf den Kriegstreiber und gleichzeitig ist auch Dankbarkeit da, dass in unserem Land schon so lange Frieden ist. Etwas in mir hat Angst, wie es weitergehen wird. Ein Teil von mir ist in Sorge um die Kinder dieser Welt. Dennoch ist so viel Freude über die geliebten Enkelkinder da. Etwas in mir möchte die Kinder dieser Erde so gerne schützen und fühlt sich doch so hilflos.
So lange purzeln Sätze, Gefühle, Emotionen aus mir heraus. Es dauert, bis es leichter wird, und zum Verschwinden bringen kann ich die Sorgen damit auch nicht. Das ist auch nicht die Intention vom Partialisieren. Aber es hilft, dass vieles einfach nebeneinander da sein darf.
Als ich meinen Workshop für den Samstag geplant habe, war für mich klar, dass ich gerne mit den TeilnehmerInnen das Schwere und das Schöne im Leben ansehen will. Beides nebeneinander, so wie das Leben ist.
Ich weiß, dass der Frieden in mir beginnt, das ist, was ich tun kann. Deswegen gehe ich nicht nur aus Pflichtgefühl zur Impulskonferenz , sondern darf dort meinen inneren Frieden nähren.
Tief unter all dem schwingt die Bitte: Mögen alle Wesen frei sein vom Leiden.
„Wie hätte es (damals) sein sollen?“ – keine Inhalte, sondern nur das körperliche Lebensgefühl!
„Wie wäre es gut gewesen? Was bringt hier frische Luft?“
„Wie wäre es gut?“
„Wenn alles irgendwie gelöst wäre – wir wissen jetzt nicht wie, aber wenn es irgendwie wäre – wie würde sich das dann anfühlen? Was wäre das für ein körperliches Gefühl? Für eine Energie? …“
„Sie können aber zu Ihrem armen, verkrampften Körper hingehen und sagen: ‚Es ist alles in Ordnung. Wir werden nichts vergessen. Du kannst jetzt eine kleine Ruhepause machen.’“
„Was wäre es für ein Gefühl, wenn diese Schwierigkeit irgendwie völlig gelöst würde?“
„Sie versuchen Ihre Probleme zu lösen, während Sie sie bereits verkörpern. Daher beginnt Focusing damit, Ihrem Körper eine Pause zu gönnen, in der er sich selbst wieder als Ganzes finden kann.“
„Lassen Sie Ihren Körper vollkommen und gesund sein, lassen Sie ihn nicht mit den Problemen verschmelzen.“
„…kann der innere Akt mit dem Niederlegen einer schweren Last verglichen werden… Erst wenn Sie die Last niedergelegt haben, können Sie sehen, wie sie aussieht.“
„Lassen Sie Ihren Körper zu seinem natürlichen Zustand zurückkehren – der vollkommen ist. Ihr Körper kann sich jederzeit völlig wohl und natürlich anfühlen.“
„Schauen Sie nach, was zwischen Ihnen und dem Wohlbefinden steht.“
„Darf Ihr Körper erst einmal er selbst sein, ohne Verkrampfung, weiß er schon alleine mit Ihren Problemen umzugehen. Sie können Ihren Sorgen mit einem entspannten, gelösten Körper entgegentreten.“
„Jedes schmerzende Gefühl ist eine potentielle Energie, die nach einer besseren Lebensweise strebt, wenn man ihr nur Gelegenheit gibt, sich zu entfalten.“
„Die bloße Existenz negativer Gefühle in Ihnen ist ein Zeichen dafür, dass Ihr Körper weiß, was richtig und falsch ist.“
Hinweise für den/die Begleiter/in:
Nachfragen, einfach entgegennehmen, nichts Eigenes dazu geben, wörtlich wiederholen: „Ah, da ist ein Druck. … Vielleicht kannst Du diesen Druck so dalassen? … Abgesehen davon, was ist noch da?“ Begrüßen, was auch immer wahrzunehmen ist – und nach dem angenehmen Ort im Körper fragen: „Wo ist es gleichzeitig in Dir auch angenehm?“ – Genießen, auskosten …
Was sein darf – kann sich verändern
Aus den Ausbildungsmaterialien des Deutschen Focusing Institutes
Einige Textstellen aus Gendlin „Focusing“, Rowohlt,1998:
Wie du bist, wenn du auf mich wirkst, ist schon durch mich beeinflusst, aber nicht wie ich gewöhnlich bin, sondern durch mich, wie ich geschehe mit dir.
Gene Gendlin: Ein Prozess-Modell 2016, S. 95
Wir sind es sehr gewohnt, in getrennten Einheiten zu denken, in Objekten, auch Personen verstehen wir als solch getrennte Einheiten, die sich begegnen. Wenn zwei miteinander in eine Interaktion treten, besteht die Vorstellung, dass es einen Anfang gibt, einen ersten Satz, etwas, worauf sich die andere Person dann bezieht. Solche Interaktionen lassen sich dann zurückführen auf diesen ersten Satz. In Streitgesprächen hauen wir uns dann häufig um die Ohren, womit der andere angefangen hat.
Gendlin hat ein ganz anderes Verständnis von solchen Interaktionen, von den Begegnungen von Ich und Du. „Interaction first“ ist eins der Konzepte, die seinem Modell zugrunde liegen. Also keine getrennten Objekte, die in Interaktion miteinander treten, sondern die Interaktion an sich ist da. Es ist ein Ereignis, das geschieht. Das Prozesshafte rückt in den Fokus.
Treten wir ein in so einen Prozess. Gleichzeitig geschieht etwas, wenn ich in der Situation bin. Ich bin da und du bist da und wir sind ein Ereignis, wir sind die Situation. Es gibt keinen Anfang, es ist eher ein Eintreten. Und schon verändert es sich! Ich geschehe mit dir und Du geschiehst mit mir.
Charlie Brown und Lucy van Pelt besuchen die gleiche Klasse an der örtlichen Schule. In diese Schule geht auch Linus, Lucys kleiner Bruder, über den sie sich sehr oft ärgert. Am meisten hasst sie es, dass der kleine Bruder noch immer eine Schmusedecke mit sich herum trägt. Es ist ihr besonders peinlich, dass er diese Decke sogar in die Schule mitnimmt.
Neben der Schule betreibt Lucy eine kleine psychiatrische Praxis, einerseits um ihr Taschengeld aufzubessern, andererseits weil sie es liebt, anderen zu sagen, was gut für sie wäre.
Am letzten Wochenende hat sie aus Neugier ein Focusingseminar besucht. Nun brennt sie darauf, ihre neu erworbenen Fähigkeiten in der Praxis einzusetzen.
Schon bald kommt auch der erste Klient: Ihr kleiner Bruder. Schniefend, schlurfend und schluchzend kommt Linus um die Ecke.
„Irgendwie schaut er ja noch verheulter aus als sonst“, denkt Lucy. Im ersten Moment kann sie aber nicht erkennen, warum Linus so verschmiert daher kommt. Doch dann begrüßt sie den Besucher ganz professionell: „Hallo Linus. Setz dich doch und erzähl‘ mir, was mit dir los ist.“ Insgeheim ist sie richtig zufrieden, dass sie nicht so auf ihn reagiert hat, wie sonst. Denn dann hätte sie ihn mit einem: „Warum heulst du so?!“ abgefertigt.
„Mama hat meine Schmusedecke in die Waschmaschine gesteckt“, jammert Linus. „Wie soll ich da heute Abend einschlafen?“ Der kleinen Psychiaterin liegt schon ein bissiger Kommentar über alberne, dreckige Schmusedecken auf der Zunge. Doch da besinnt sie sich auf die Erfahrungen im Focusingseminar und lässt die Aussage von Linus innerlich auf sich wirken. Und irgendetwas wird ganz weich in ihr, denn auch sie hat eine schlimme Angst, von der sie am Wochenende zum ersten Mal erzählt hat.
„Ja“, sagt Lucy ganz freundlich. „Du weißt jetzt gar nicht, wie du einschlafen sollst.“
Linus lächelt erleichtert. Seine Mutter hatte ihn ärgerlich angefahren, als er sich heulend sträubte, die Schmusedecke in die Wäsche zu geben. Und von Lucy war er schon gewöhnt, dass sie ihn wegen der Decke auslachte. Und nun versteht die Schwester ihn endlich, das ist gut. Sein Lächeln bestätigt Lucy, die sofort eine focusing-orientierte Frage nachschiebt.
„Wo in dir drinnen ist denn der ganze Jammer wegen deiner Schmusedecke?“ Linus ist von dieser Frage völlig überrascht. Aber die Wörter „in dir drinnen“ kennt er gut. Der Doktor fragt immer so ähnlich, wenn es um Bauchweh geht.“ Es ist sehr ähnlich wie Bauchweh, nur viel größer und ein anderes Weh als nach zu viel Erdnussbutterbrot.“ Linus spürt noch mal in sich hinein, dann nickt er. „Ja, größer und anders als Erdnussbutterbrot – Weh.“
Lucy hört, was ihr Klient sagt und bemerkt erstaunt, dass er ihr gerade ganz nah und vertraut ist. Und so wagt sie eine Frage zu stellen, die sie selber immer noch etwas merkwürdig findet. “ Magst du mal dein Bauchweh fragen, ob es uns etwas erzählen möchte?“ Linus schaut verwundert und im gleichen Moment hörte er aber schon innen drinnen den ersten Satz vom Bauchweh. „Ohne die Decke kann ich nicht einschlafen. Sie beschützt mich vor den unsichtbaren Monstern im Kinderzimmer. Durch die Decke hindurch können sie mich nicht beißen.“
„Ah“, die Psychiaterin ist auf einmal ganz interessiert. „Die Decke beschützt dich also. Es geht um Schutz und Sicherheit.“ Von Linus ist ein tiefer Seufzer zu hören. „Ja, ich kann nur schlafen, wenn ich mich sicher fühle.“
Lucy lächelt glücklich, denn sie hat in dem Seminar gelernt, dass ein tiefer Atemzug darauf hinweist, dass eine gute Veränderung im Körper stattgefunden hat.
„Wie ist es denn jetzt gerade?“ fragt sie Linus behutsam. „Ist da ein bisschen was von Sicherheit da?“ Linus schaut seine Begleiterin erstaunt an. „Ja, tatsächlich. Ich fühle mich heute ganz sicher bei dir. Irgendwie habe ich so gar keine Angst vor schlimmen Bemerkungen.“
Lucy hört das und bemerkt, dass sie einen Moment Zeit für sich braucht. So schlägt sie Linus vor, einen Moment noch das sichere Gefühl zu genießen. Linus schließt seufzend die Augen und lässt sich tiefer in den Stuhl rutschen. Lucy nutzt die Zeit, um für sich zu sorgen. Irgendwie fühlt es sich richtig mies an, dass der eigene Bruder sich vor ihren Bemerkungen fürchtet. Gleichzeitig kann sie aber auch den Teil in sich spüren, dem es einfach Riesenspaß macht, zynisch, sarkastisch, ironisch und frech zu sein. In Gedanken legt sie das miese Gefühl in eine kleine Truhe, die mit blauem Samt ausgeschlagen ist. Diese stellt sie ins Regal, damit sie sich später, wenn Linus gegangen ist, darum kümmern kann. Den frechen Teil von sich selbst setzt sie ins Büro ihrer Schuldirektorin, die ein paar Frechheiten schon lange verdient hat. Nun hat Lucy wieder ihren inneren Freiraum.
Behutsam wendet sie sich an Linus: „Wie ist es jetzt?“ Der kleine Bruder öffnet die Augen und lächelt.
„Es ist ganz gut.“ „Es ist ganz gut“, wiederholt Lucy und kann das Gute auch in sich selber fühlen. „Kennst du noch andere Dinge oder Personen, bei denen Du dich gut und sicher fühlst?“ Linus überlegt, dann zuckt er mit den Schultern. „Ich weiß nicht“. „Ja“, Lucy nickt. „Wissen können wir es nicht, aber du kannst es spüren.“
Da schließt Linus die Augen und wartet ein bisschen. „Bei Snoopy fühle ich mich auch ganz gut und sicher. Er ist so lieb zu seinem kleinen Küken Woodstock.“
Lucy ist völlig ratlos, was jetzt eine gute Frage wäre. Sie hatte so gehofft, dass Linus auf ein Kuscheltier oder etwas ähnliches kommen würde. Denn den Hund Snoopy kann ja Linus nicht mit ins Bett nehmen. Aber wie hatte sie vorhin selbst gesagt: „Wissen kann man es nicht, nur spüren.“
So lehnt sie sich entspannt in ihrem Stuhl zurück und gibt die Frage an Linus weiter: „Und wie könnte dir die Sicherheit von Snoopy in der nächsten Nacht helfen?“ Linus lacht: „Ich bitte ihn, dass er bei mir vorbeikommt und mir beim Einschlafen hilft. Er soll mir ein Lied vorsingen und eine Gute-Nacht-Geschichte tanzen. Dann muss ich lachen und habe keine Angst mehr. So kann es heute Abend gut gehen, auch ohne Decke.“
Lycy schüttelte innerlich den Kopf: Ausgerechnet der durchgeknallte Snoopy…, aber äußerlich ganz gelassen fragt sie: „Hast du schon eine Idee, wie du Snoopy dazu bringen kannst, dir beim Einschlafen zu helfen?“
Linus überlegt: „Mama hat für heute Koteletts gekauft. Ich sammle einfach die Knochen und bringen sie Snoopy zum Abnagen. Dafür hilft er mir bestimmt.“
Einen Moment ist es still in Lucies kleiner Open-air-Praxis.
Dann steht Linus auf und sagt zu seiner Schwester: „Ich weiß, dass man 50 ct für die Sitzung zahlen muss. Aber ich habe kein Geld. Wäre es für dich in Ordnung, wenn ich dreimal den Abwasch für dich mache?“ Lucy grinst: „Zweimal wäre auch gut gewesen, aber mach nur dreimal, kleine dumme Brüder sind einfach praktisch.“ Linus grinst zurück und meint im Weggehen: „Ich glaube, das eine oder andere Focusingseminar täte dir noch richtig gut.“